Melancholien

Angeregt von Heimo Steps, der leider im August 2022 verstorben ist, haben wir uns bereits 2021 im Rahmen eines Stipendiums vom Land Kärnten mit der Melancholie beschäftigt. Heimo Steps hat die Idee des Melancholie-Festivals bereits 2013 bei der Transformale eingereicht, und die Idee interdisziplinär zu Melancholie zu arbeiten hat ihn bis zum Schluss nicht losgelassen. Seit seiner ersten Anregung zum Weiterdenken und Weiterarbeiten haben sich massenhaft Ideen angehäuft, durch die Arbeit im Rahmen des Stipendiums ist der Umfang des Themas endgültig unüberschaubar geworden. Wir haben mit zahlreichen Personen informelle Gespräche geführt und der Begriff bleibt ebenso spannend wie schwammig.

Natürlich haben wir uns mit der „Bibel“ der Melancholie von Robert Burton „Anatomy of Melancholy“ intensiv auseinandergesetzt. In diesem Standardwerk versucht Burton die Melancholie von der Antike weg mit Blick auf alle Lebensbereiche zu erfassen: Armut, schlechte Luft, Ernährung, Ruhmsucht und einiges mehr diskutiert er als Ursachen für die Melancholie, vertritt die Meinung, dass nicht nur die Medizin, sondern auch z.B. die Musik zur Heilung der Melancholie beitragen könnte, widmet natürlich der Liebe ausführliche Überlegungen und auch der Religion. Der Eindruck entsteht, dass die Melancholie etwas Universelles ist, das alle Menschen verbindet. Die einen sind davon mehr betroffen, die anderen weniger, aber konfrontiert wird früher oder später jede:r mit ihr. „Melancholie ist das Signum der Sterblichkeit“, schreibt Burton u.a., und damit ist sie wirklich universell und betrifft jede:n.

 

Heimo Steps hat vor allem der produktive Aspekt der Melancholie interessiert. Die Melancholie ist zuerst eine Trägheit, ein Rückzug, eine Rückbesinnung. Und dieser Zustand birgt die Chance, dass aus dieser Ruhe großes Entstehen kann. So wollte auch Vincent Van Gogh die Melancholie verstehen: „Statt mich in Verzweiflung gehen zu lassen, habe ich mich für die tätige Melancholie entschieden, insofern Tätigkeit in meiner Macht stand, oder, mit anderen Worten, ich habe die Melancholie, die hofft und strebt und sucht, einer Melancholie vorgezogen, die trübsinnig und tatenlos verzweifelt.

Produktiv und träge zugleich ist die Melancholie, oder, ebenso paradox „Melancholie ist das Vergnügen, traurig zu sein“, nach Victor Hugo. Ein weiterer anregender Widerspruch kommt von Soren Kierkegaard, der meint, der Melancholische habe am meisten Sinn für das Komische. Können wir uns unsere westliche Kunst- und Kulturgeschichte überhaupt ohne die Melancholie vorstellen?

 

MELANCHOLIE ALS PRODUKTIVE KRAFT

Auch wir finden diesen produktiven Zugang spannender und begreifen die Melancholie eher als Prozess und nicht als Ergebnis. Dark City engagiert sich für Projekte zwischen Darstellender und Bildender Kunst, bei uns steht nicht nur das Ergebnis, sondern immer auch der Prozess, die Kunstproduktion im Fokus. Im Zuge unserer Recherchen haben wir z.B. Rituale entdeckt, die Künstler:innen für sich nutzen. Diese hilfreichen Routinen, die vielleicht auch ein bisschen zur Vermeidung von Melancholie beitragen, oder helfen sie zu überwinden wäre schon ein Thema für ein spannendes Projekt. Zugegeben würde das ein bisschen voyeuristisch ausfallen. (Was aber auch seinen Reiz hat, wie unser nie realisiertes Projekt „Inside Niko Sturm“, bei dem wir alle möglichen Artefakte und Informationen über den Künstler ausstellen wollten – ohne seine Kunst zu zeigen.) Aber auch weniger intime Arbeitsprozesse sind spannend und für uns gleich wichtig oder gleichwertig wie die präsentierten Ergebnisse. Das Sichtbarmachen von Prozessen kann das Verständnis der Rezipient:innen und ihre Wertschätzung für die Kunst positiv beeinflussen, im Sinne des hermeneutischen Zirkels, und so das Kunsterlebnis pushen. Oder kommt es dadurch zur Entzauberung der Kunst?

 

Wir haben uns bereits mit einigen Leuten über diese und andere Fragen unterhalten. Bereichernd war der Austausch mit Philine und Bhima Griem von den Künstlerhäusern Worpswede. Hier war eine Künstlerkolonie, hauptsächlich bestehend aus Landschaftsmalern, angesiedelt. Eine Metropole der Melancholie, auch heute. Durch das Gespräch mit ihnen ist auch der produktive Aspekt der Melancholie in den Fokus gerückt. Die beiden machen sich Gedanken über Arbeitsorte und Stipendienstätten der Zukunft. Wie sollte ein produktives Umfeld gestaltet sein? Was brauchen Künstler:innen um ihrer Arbeit nachzugehen?

Das Thema hatten wir schon mit unserer zweiten Ausgabe von Diorama 2018 in Krumpendorf. In diesem Sommer hatten wir eine riesige Location zur Verfügung, die ehemaligen ÖGB-Lehrwerkstätten inkl. Nebengebäuden, aber kein Budget für ein Festival oder eine andere Nutzung, also beschlossen wir Künstler:innen einzuladen und ihnen hier wenigstens einen Arbeitsort und eine Wohnmöglichkeit zu bieten. Im Sommer waren über 50 Künstler:innen aus der Region, aus Rest-Österreich, aus der Schweiz, aus Finnland, Griechenland, New York, Mexiko und Deutschland vor Ort, haben an Texten, Kompositionen, Installationen und Bildern gearbeitet. Es fand ein reger Austausch statt, vor allem die Mischung der Kunstsparten haben die anwesenden Künstler:innen als besonders bereichernd empfunden. Etwa alle zwei Wochen haben wir das Areal mit einer Veranstaltung belebt, die gezeigt hat, was aktuell vor Ort entsteht. Auch Raimund Spöck hat mit seinem Verein Innenhofkultur hier Konzerte veranstaltet um Leute an diesen nur kurzzeitig nutzbaren Ort zu bringen. Danach wurden die Lehrwerkstätten abgerissen und Wohnblöcke auf dem Gelände errichtet. Krumpendorf wurde nach diesem Sommer wieder in seinen üblichen Dornröschenschlaf geschickt, wurde wieder ein Ort den man für die Arbeit verlässt und wo man um zu schlafen hinfährt, sofern man dort seinen Wohnsitz hat. Sonst verschlägt es einen maximal im Sommer zum Schwimmen hierhin. Es kann kein Zufall sein, dass der Hit „Melancholie im September“ in der Krumpendorfer Tenne geschrieben wurde. Dieses historische Ereignis haben wir auch in unserem Festival Diorama K17 thematisiert bzw. zitiert.

Bei der zweiten Ausgabe von Diorama, den Residencies, war die produktive Kraft an diesem melancholischen Ort spürbar. Natürlich wurden bei den öffentlichen Veranstaltungen auch fertige Arbeiten gezeigt, aber auch die Prozesse wurden sichtbar und Ateliers zugänglich gemacht. Über den Sommer nutzen zahlreiche Künstler aus der Region, aus Österreich und dem Ausland die ehemaligen Lehrwerkstätten: Kerstin Bennier, Rene Berghold, Jürgen Bauer, Philipp Caspari, Ramona Cidej, Karim Elseroui, Rene Fadinger, Robert Fleischanderl, Bhima Griem, Miriam Jesacher, Nina Herzog, Daniel Hosenberg, Dimitris Katharopoulos, Thomas Krause, Lenzo, Fredderik Marroquin, Jenny Marketou, David Mase, Günther Metzger, Katharina Michelitsch, Ernestina Orlowska, Anna Possarnig, Michaela Schwentner, Tim Thoenen, Tanja Turpeinen, Ronald Zechner, u.v.m.

 

RAUM FÜR MELANCHOLIE

Vor diesem Leerstand haben wurde der Raum8 in Klagenfurt von uns und vielen Gästen genutzt. Hier haben wir eine dritte Adaption von Franz Kafkas „Landarzt“ zur Eröffnung gezeigt, zwei Varianten von „Orpheus“ (zuerst mit Tamara Stern und Heinz Weixelbraun, dann mit Oliver Welter). Ausstellungen von Wolfgang Walkensteiner, Kerstin Bennier, Bhima Griem, Jürgen Bauer, GOTO, movement laluz, Herbert de Colle und Nico della Martina, Michael Maier u.v.m. waren zu sehen. Auch dieser Ort war vorher von Tristesse gekennzeichnet und wurde durch künstlerische Aktivitäten und dadurch entstehende Begegnungen ein Ort für produktive Kraft, Ideen und Austausch. Auch hier fanden nicht nur interdisziplinäre Veranstaltungen statt, sondern hier wurde gemalt, geprobt, komponiert. Dann wurde der Kirschgarten, pardon, Raum8 verkauft. Melancholie stellte sich ein. Wie weitermachen?

Inzwischen hat Dark City keinen fixen Standort mehr, was unserer Zeit der Mobilität und geforderten Flexibilität wohl ohnehin besser entspricht. Dark City kann überall sein! In den letzten Jahren haben wir nicht nur die Außenstelle Krumpendorf gemacht, sondern waren auch mit unseren Versionen vom Landarzt in Wien (Radiokulturhaus und Werk X Petersplatz), - Wien ist ja die eigentliche Heimat von Dark City -, außerdem waren wir auf der Parallel Vienna 2021 präsent (mit Arbeiten von Gerhard Fresacher, Robert Kummer und Wolfgang Walkensteiner), und haben natürlich auch in Kärnten neue Orte erobert. Wir setzen nun, ohne eigenen Raum, auf Kooperationen, u.a. mit der Hafenstadt (Ausstellungen: „Aufzeichnungen“ mit Arbeiten von Elisabeth Wedenig, Pepo Pichler, Bella Ban, Manfred Bockelmann, Julian Taupe und Gertrud Weiss-Richter, und „zeiger ins licht“ nach Georg Timber Trattnig vertont von Moritz Rauter) und der Fabrik (Ausstellung: „Melanchothek“). Vor der Pandemie haben wir schon die Idee eines Reisebüros entwickelt – in Anlehnung an Viktor Rogy. Angeregt durch den radikalen künstlerischen Willen von Rogy haben wir auch den Film „looking for victor“ produziert: rund 25 Minuten Melancholie und eine essayistische Erzählung über ungenutzte Potenziale aus Kärnten. Vielleicht setzen wir diese Idee des Reisebüros in den kommenden Jahren um, und vielleicht holen wir noch mehr Konzepte wieder aus der Schublade, u.a. um das Thema Melancholie weiter zu bearbeiten.